Interview mit Frau Charlotte Bauer, stellvertretende Direktorin der Universitätsbibliothek Albertina
Frau Kremer: Haben Sie Bildungsgerechtigkeit oder -ungerechtigkeit persönlich erlebt?
Frau Bauer: Ich habe darüber nachgedacht, ich war völlig verblüfft über die Frage. Ich habe keine Bildungsungerechtigkeit erlebt, überhaupt nicht. Ja, ganz normal Abitur, Studium, Job, dann zweites Studium. Ich hatte immer Chefs, Männer, die mich total unterstützt und gefordert und gefördert haben, die mich ertragen haben. Ich würde mich als starke Frau bezeichnen und ich hatte das wirklich große Glück, dass ich nie irgendwie diesbezüglich gedeckelt worden bin und immer Männer in der Führungsposition hatte, die direkt starke Frauen suchten und die bewusst gefordert haben. Ja, ich hatte da wirklich echt Riesenglück.
K: Diese gute Erfahrung, hat die denn zum Erlangen Ihrer jetzigen Position beigetragen?
B: Mit Sicherheit!
K: Hätte dieses Thema auch auf eine Karriere außerhalb der Uni Einfluss gehabt?
B: Nein, das stand gar nicht zur Wahl. Ich bin nach dem Studium direkt an die DHfK (Deutsche Hochschule für Körperkultur) gekommen und von dort nach der Wende an die Uni und …
K: Sind Sie von hier?
B: Ja, ich bin in Görlitz geboren. Und dann habe ich mich um die Stelle der Vizedirektorin beworben und habe sie bekommen. Ich war nie leise, ich war immer sehr aktiv, hab mich eingemischt und trotzdem wurde ich gefördert.
K: Schön, es ist gut, dass wir gleich damit anfangen.
B: Ja. Ich würde es gerne so beschreiben, das hat natürlich auch mit meinen Fähigkeiten zu tun, aber es hat immer auch mit Menschen zu tun, die das ertragen und sogar gefördert haben.
K: Warum haben Sie sich für eine Uni Laufbahn entschieden?
B: Das war wirklich Zufall, war keine bewusste Entscheidung. Nach dem Studium, also 1980, habe ich mich in Leipzig beworben, weil ich nach Leipzig wollte, denn ich hatte meinen späteren Mann kennengelernt und da bin ich durch Zufall, weil das die beste Stelle war, an die DHfK gekommen. Also wie gesagt, das war echt Zufall und keine bewusste Entscheidung.
K: Also außerhalb der Uni …
B: … habe ich überhaupt keine Erfahrungen.
K: Finden Sie, dass sich persönliche Präferenzen bezüglich Beruf und Familie an der Uni leichter verknüpfen lassen als in der Wirtschaft? Können Sie etwas dazu sagen, auch wenn Sie immer an der Uni waren?
B: Das ist problematisch, dazu kann ich wenig sagen. Ich würde es auch nicht unbedingt auf die Uni spezifizieren. Generell, würde ich sagen, ist vielleicht im öffentlichen Dienst schon mehr möglich, so wie die Möglichkeit der Teilzeitarbeit oder wie man die Arbeitszeit gestaltet, da kann man mehr auf Schließzeiten von Kindergärten etc. Rücksicht nehmen. Das ist mit Sicherheit bei einer Verkäuferin deutlich problematischer. Gleichwohl gibt es natürlich auch Firmen, die wiederum wesentlich mehr für Familienfreundlichkeit tun, die Arbeitszeitkonten haben, die Kinderbetreuung noch in ganz anderem Maße angehen. Es ist noch nicht so lange her, vier, fünf Jahre, da habe ich mich im Senat wahnsinnig mit dem damaligen Kanzler gestritten, der der Meinung war, Kindergärten zu bauen wäre nicht Aufgabe der Universität. Das ist jetzt zum Glück anders. Aber, wie gesagt, ich würde fast vermuten, dass es im öffentlichen Dienst generell ein bisschen einfacher ist.
K: Wie beurteilen Sie die Förderung von Frauen an der Uni Leipzig?
B: Sicher noch nicht ausreichend. Aber es hat sich in der letzten Zeit schon einiges getan. Wichtig ist hier für mich ganz klar Kinderbetreuung. Das kann gar nicht stark genug unterstützt werden. Wenn ich sehe, was meine Kolleginnen und Kollegen für Probleme haben, ihre Kinder unterzubekommen, wie schwierig eine Betreuung am späten Nachmittag ist. Gut finde ich, dass es bei Professoren-Berufungen etc. auch spezielle Programme gibt, denn wir kennen natürlich einige Fakultäten, da gibt es so gut wie überhaupt noch keine Frauen. Deshalb, um gleich auf die nächste Frage zu kommen, bin ich schon der Meinung, dass es hier einer staatlichen Lenkung bedarf. Es hat eine Weile gedauert, bis ich zu dem Punkt gekommen bin, weil die sogenannten Quotenfrauen für mich immer irgendwie so ein bisschen anrüchig und was ganz Furchtbares waren. Aber ich glaube mittlerweile, dass es nicht anders geht, dass man da stark lenken muss. Also, wie gesagt, an der Uni ist ein Anfang gemacht. Aber wir müssen uns auch fragen, wie zum Beispiel die Unikultur ist? Wann setzt man Beratungen an? Wie oft kriege ich Einladungen zu Beratungen, die völlig selbstverständlich um 18 Uhr losgehen. Das ist für mich kein Problem, weil ich keine Kinder zu versorgen habe, aber da könnte ich mir doch vorstellen, dass das für einige problematisch ist. Also so weit geht das. Ich habe es an der UB als großen Vorteil empfunden, dass es die Möglichkeit gibt, dass Väter in die Elternzeit gehen. Das hat unsere männlichen Führungskräfte doch deutlich sensibilisiert, auch für die Probleme der Mütter. Und ich kann sagen, wir haben an der Universitätsbibliothek richtig gut emanzipierte Männer, die auch verantwortlich sind, die ihre Kinder vom Kindergarten abholen oder hinbringen und die deshalb auch sagen müssen: „Zu dem Termin kann ich nicht, weil ich da meine Tochter abholen muss.“ Und das hat bei uns schon ein großes Verständnis füreinander gebracht und Frauen, die sagen „Tut mir leid!“, sind nicht mehr irgendwie abgestempelt. Das ist bei uns an der UB ziemlich selbstverständlich geworden.
K: Was raten Sie Frauen, die im Hochschul- oder Wissenschaftsbereich Karriere machen wollen?
B: Immer den Mund aufmachen. Selbstbewusstsein haben. Sich nicht einschüchtern lassen und sein Ding machen. Und notfalls dann auch kämpfen, wenn man blöd angemacht wird. Also sich ja nicht irgendwie
einschüchtern lassen.Aber das gilt eigentlich für alle, das ist nichts Frauenspezifisches, das ist das, was jeder, der in einem Unternehmen ist, beachten muss. Ich könnte mir genauso gut vorstellen, dass Männer gemobbt werden. Wenn man bestimmte Ängste gar nicht erst hochkommen lässt, sondern klar formuliert, kommt man meiner Erfahrung nach besser weg. Es gehören immer zwei dazu, man muss es auch mit sich machen lassen. Ich glaube, andere spüren sehr deutlich, wo es bei demjenigen Grenzen gibt. Aber da kann ich natürlich leicht quatschen.
K: Vielen Dank!