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»Der akademische Bereich ist insgesamt flexibler für Beruf und Familie als der klinische.«

Interview mit Frau Prof.in Dr.in Beate Schücking, Rektorin der Universität Leipzig

Frau Kremer: Wie haben Sie persönlich Bildungsgerechtigkeit oder -ungerechtigkeit erlebt?

Frau Schücking: Ich war sehr froh, dass ich aus einer akademischen Familie kam und es über meine Laufbahn, meine Schulzeit hinweg nie eine Frage war, ob ich studieren kann oder nicht. Im Rückblick ist mir allerdings noch einmal klar geworden, dass ich damit die Tradition der Familie väterlicherseits fortsetze, wo es auch vor mir schon studierte Frauen gab. In der Linie meiner Mutter bin auch ich die erste Akademikerin, und meine Mutter hätte sich sehr gewünscht, selber zu studieren. Also, irgendwann ist man immer mal die Erste. Dennoch komme ich aus einem bildungsbürgerlichen Haushalt, mein Vater war Forstdirektor, hatte Forstwissenschaften studiert und sein Vater war Juraprofessor. Da war ich in keiner Weise benachteiligt. Das habe ich später schon anders kennengelernt, als mir bewusst wurde, was für ein mühsamer Weg es für viele war, zu studieren. Unter meinen Kommilitonen waren viele, gerade auch unter meinen engeren Freunden, die über den zweiten Bildungsweg ins Medizinstudium gekommen waren. Gleichzeitig wurde mir auch bewusst, wie wichtig das Studium ist. Gerade beim Arztberuf ist es völlig klar, dass es ungünstig für die späteren Patienten ist, wenn diejenigen, die den Beruf ausüben, mehr oder weniger aus nur einer und oft einer anderen Schicht kommen. Insofern habe ich früh angefangen, mich für das Thema Bildungsgerechtigkeit zu interessieren, und hatte dann später als Professorin unter meinen Studierenden sehr, sehr viele, die die Ersten in ihrer Familie waren, die an die Hochschule kamen.

K: Wie hat diese Erfahrung zum Erlangen Ihrer jetzigen Position beigetragen?

Frau Prof.in Dr.in Beate Schücking,
Rektorin der Universität Leipzig

S: Ich glaube, es hat mitgeholfen. Also, wenn Sie so wollen, hat meine gesamte Administrationskarriere ihre Wurzeln in der Tatsache, dass mir in meiner ersten Professur in Bayern das Amt der Frauenbeauftragten, das dort ein Professorinnen-Nebenamt war, relativ schnell zufiel und ich nicht nur für meine Hochschule, sondern auch als Landesbeauftragte für ganz Bayern zuständig war. Das hat mir ein Stück weit die Augen geöffnet, was Gleichstellung und letztendlich auch Bildungsgerechtigkeit anging, die damit ja durchaus auch partiell verknüpft ist. Da ich diese Erfahrungen hatte und sehr früh dann auch schon in einem akademischen Senat war, habe ich mich, nachdem ich von der einen Hochschule wegberufen wurde, auch an der neuen Hochschule in die Gremien getraut. Ich war erst Senatorin und dann Dekanin und habe im Grunde alle akademischen Funktionen bis hin zur Vizepräsidentin einmal gemacht. Auf dieser Basis, mit dieser im Grunde sehr umfangreichen Administrationskarriere neben meiner Karriere als Wissenschaftlerin, hatte ich die nötigen Voraussetzungen als Rektorin.

Beate A. Schücking im Kreis der Prorektoren und der Kanzlerin

K: Hätte das Thema Bildungsgerechtigkeit auf eine mögliche Karriere außerhalb der Universität Einfluss gehabt?

S: Außerhalb der Universität hätte ich vermutlich eine Arztpraxis aufgemacht, da hätte es wahrscheinlich nicht so einen großen Unterschied gemacht. Ich wollte ursprünglich Landärztin werden. (lacht) Ich habe das immer wieder zwischendurch als Vertretung gemacht. Da hängt mein Herz ein kleines Stück immer noch dran, wie das mit Kindheitsträumen so ist.

K: Landärzte werden auf jeden Fall gesucht … (lacht auch)

S: Eben!

K:Warum haben Sie sich für eine Universitätslaufbahn entschieden? Ich nehme an, Sie haben weniger Arbeitserfahrung im außeruniversitären Bereich?

S: Ich habe zehn Jahre klinisch gearbeitet, auch in einem Kreiskrankenhaus, die meiste Zeit natürlich an der Uniklinik. Ich habe auch Praxisvertretungen gemacht – ich bin ja Fachärztin für Allgemeinmedizin – und habe eine Psychotherapieausbildung. Ich habe mich ganz stark deshalb dafür entschieden dann an die Universität zu gehen, weil mir das Denken und Arbeiten mit jungen Leuten so viel Spaß macht. Und auch, weil ich ein bisschen die Sorge hatte, dass ich, wenn ich in dem klassischen Beruf bleibe, mit so viel Redundanz, „ausbrenne“. Das habe ich tatsächlich bei etlichen meiner damaligen Mitstudierenden miterlebt, dass sie dann ungefähr ab fünfzig zynisch gegenüber ihren Patienten wurden, weil sie es im Grunde nicht mehr ausgehalten haben. So wollte ich nicht werden. Ich war neugierig. Ich habe berufsbegleitend noch Philosophie studiert und das hat mir neue Horizonte des Denkens eröffnet. Da weiterzumachen und zum Erkenntnisfortschritt wirklich selbst beizutragen, selbst forschen zu können, das habe ich für mich eigentlich erst spät wiederentdeckt. Ich hatte meine Doktorarbeit noch als Studentin, wie das in der Medizin so ist, im Sonderforschungsbereich gemacht und kannte daher diesen Aspekt der Grundlagenforschung. Aber da war ich noch so jung, dass ich nicht wirklich das Gefühl hatte – oder vielleicht auch nicht vermittelt bekommen hatte – dass ich meine eigenen Fähigkeiten wirklich einbringen kann. Fast zehn Jahre später fühlte ich mich dazu sehr wohl in der Lage.

K: Lassen sich persönliche Präferenzen bezüglich Beruf und Familie an der Universität leichter miteinander verknüpfen? Können Frauen sich hier besser behaupten als außeruniversitär?

S: Ich bin noch die Generation Ärztin, die, wenn sie eine Weiterbildungsstelle im Krankenhaus kriegen wollte, zum Teil gehört hat: „Erst wenn Sie mir Ihren Uterus im Glas hier auf den Tisch stellen, bekommen Sie die Stelle für die Facharztausbildung.“Das war unheimlich hart. Obwohl ich gleichzeitig auch als Assistenzärztin im Krankenhaus erlebt habe, dass männliche Kollegen viele Monate durch eine Knieverletzung beim Fußball ausgefallen sind. Ohne dass dies thematisiert wurde.

K: Und wie haben Sie reagiert? S: Es hat schon seinen Grund, warum ich selbst erst spät Mutter geworden bin und warum ich meinen Kinderwunsch vielleicht auch nicht in der Breite verwirklicht habe, wie ich mir das mal hätte vorstellen können. Ich habe nur ein Kind, hätte aber vielleicht doch ganz gerne zwei gehabt. Aber, immerhin, mit einem Kind hat es geklappt und darüber bin ich sehr froh. Und das ging leichter im akademischen Bereich, weil man da flexibler ist, weil man viel mehr zu Hause machen kann und weil man auch mal ein Kind mitnehmen kann. Der akademische Bereich ist insgesamt flexibler für Beruf und Familie als der klinische. Wobei es sich heute an den Kliniken auch geändert hat. Kliniken versuchen zumindest Kinderbetreuung aufzubauen, wie man hier im Universitätsklinikum Leipzig sieht. Ideal ist es aber sicher immer noch nicht.

K: Wie beurteilen Sie die Förderung von Frauen an der Universität Leipzig?

S: Ich glaube, wir sind da ein gutes Stück vorangekommen. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir laut letzter CEWS-Erhebung jetzt 49,8 Prozent Frauen unterhalb der Professur haben. Bei den Professuren machen wir auch ordentliche Fortschritte, wobei sich von Stufe zu Stufe nach wie vor leider ein geringerer Frauenanteil abbildet. Die gläserne Decke haben wir hier noch nicht abgeschafft. Wir kommen aber doch voran, und mein persönliches Ziel ist es insbesondere in Bereichen, in denen es bisher noch sehr wenige Frauen gab, wie in der Physik, Mathematik oder auch in Jura, Fortschritte zu erzielen. Ich bin stolz darauf, dass wir jetzt zwei Mathematikprofessorinnen haben. Als ich kam, gab es keine. Ich glaube, das ist entscheidend. Wenn ein paar gut Frauen da sind, dann zieht man hoffentlich in den Berufungskommissionen auch die nächsten nach.

K: Was halten Sie aufgrund Ihrer persönlichen und beruflichen Erfahrung vom staatlich geförderten Aufstieg von Frauen?

S: Ich glaube, dass Quoten in manchen Bereichen gut sind, zum Beispiel in Aufsichtsräten. Und ich bin gespannt darauf, was jetzt passiert, wenn das im nächsten Jahr umgesetzt wird. In bestimmten Funktionen geht es um Macht, und Macht wird ungern abgegeben. Das ist jetzt sehr simpel formuliert, aber ich habe erlebt, dass es durch die Einführung von Hochschulräten an Universitäten – und in den Hochschulräten ist überall von vornherein eine gewisse Anzahl an Frauen mit dabei gewesen – auch mehr Rektorinnen und Präsidentinnen gibt. Und es sind immer noch wenige. Ich glaube, das hat etwas mit den Frauen in den Hochschulräten zu tun, als bundesweites Phänomen.

K: Und was würden Sie Frauen raten, die im Hochschul- oder Wissenschaftsbereich Karriere machen wollen? S: Dies weniger dem Zufall zu überlassen, sondern strukturiert nachzudenken. Sie sollten sich auch Berater suchen, Mentorinnen und Mentoren, mit denen sie Karrierepläne besprechen und von denen sie auch hören können, ob die Pläne realistisch sind. Ich habe meine Doktorandinnen – ich habe fast nur Doktorandinnen – in diesen Prozessen intensiv beraten und bin stolz darauf, dass mittlerweile etliche Professorinnen unter ihnen sind. Man braucht Rat von Menschen, die nicht nur die Stärken kennen, sondern auch wissen, wo man nicht so stark ist, was man vielleicht noch verbessern kann oder was man eben berücksichtigen muss bei diesen wegweisenden Entscheidungen. Es gibt immer Wegkreuzungen im Leben. Da dann jeweils die richtige Entscheidung zu treffen, ist natürlich wichtig.

K: Vielen Dank!