Interview mit Frau Prof. in Dr.in Ursula Rao, Direktorin des Instituts für Ethnologie an der Universität Leipzig
Frau Kremer: Wie haben Sie persönlich Bildungsgerechtigkeit oder -ungerechtigkeit erlebt?
Frau Rao: Ich habe in meiner Schul- und Universitätsausbildung eher keine Bildungsungerechtigkeit erlebt. Ich habe mein Umfeld immer als sehr liberal erlebt, das hat auch zum Teil mit der Fachkultur in der Ethnologie zu tun. Das Fach ist schon länger weiblich geprägt, vielleicht mehr als das in anderen Fächern der Fall ist. In meinen Lehrjahren gab es viele dezidiert auftretende Feministinnen, die die Ethnologie mitgeprägt haben und in den 90erJahren wurden im Fach viele feministisch inspirierte Diskussionen geführt. Ich habe die Arbeit in der Institution immer als sehr unkompliziertes Miteinander der Geschlechter erlebt. Mehr als Geschlecht zählten Patronage-Netzwerke. In Deutschland scheinen mir Beziehungen in der Wissenschaft eine große Rolle zu spielen, mehr als mir das aus dem angelsächsischen Raum bekannt ist, wie zum Beispiel in Sydney, wo ich auch sehr lange gelehrt habe. Persönlich haben Geschlechterzuordnungen für mich da nie eine Rolle gespielt. Von Kollegen weiß ich, dass das nicht in allen Geisteswissenschaften selbstverständlich ist.
K: Wie hat diese Erfahrung zum Erlangen Ihrer jetzigen Position beigetragen?
R: Schon als Assistentin habe ich gemerkt, dass ich gerne in Institutionen agiere. Mit der entsprechenden Erfahrung scheint mir heute, dass Frauen eine gewisse Sensibilität dafür haben, wie Institutionen und Beziehungen in diesen funktionieren. Dies macht es ihnen nicht nur möglich, in diesen erfolgreich zu agieren. Sie sind dadurch auch in der Lage, Leerstellen zu besetzen, was die Arbeit von Männern gut ergänzt. Ein gutes Beispiel ist Innovation in der Hochschuldidaktik im neuen B.A.- und M.A.-System. Heute reicht es nicht mehr, den Studierenden interessante Inhalte zu vermitteln. Wir sind angehalten, die gesamte Lehrplanung auf didaktische Überlegungen zu stützen und den Beitrag jedes einzelnen Moduls zu den Lehrzielen des Abschlusses in Beziehung zu setzen. Solche Arbeit braucht sehr viel Geduld und mir scheint oft, dass Frauen das mit mehr Lust machen als Männer. Als Assistentin habe ich erlebt, dass mein Chef mir diese Aufgaben gerne delegiert hat und froh war, wenn ich ihm das vom Halse gehalten habe. Und wenn man das erfolgreich macht, erlangt man dadurch Ansehen und wird geschätzt.
K: Warum haben Sie sich für eine Universitätslaufbahn entschieden?
R: Ich habe mir genau diese Frage vor der Promotion sehr ernsthaft gestellt. Mir schien damals das Promovieren als ein eindeutiges Bekenntnis zur akademischen Karriere. Denn welchen Job sollte man als promovierte Ethnologin bekommen, den man nicht auch mit einem Magister hätte kriegen können? Es war klar, dass die Promotion keine Berufsqualifizierung ist. Ich wollte nicht in einem Beruf arbeiten, in dem man irgendwann, vielleicht mit vierzig, das Gefühl hat, immer das Gleiche zu tun. Ich wusste, dass ich im akademischen Bereich bestimmt alle fünf Jahre ein neues Projekt haben müsste, um dran zu bleiben, und das schien mir meiner Persönlichkeitsstruktur eher zugeneigt. Ich hatte wahrscheinlich damals schon Panik vor der Midlife-Crisis. (lacht)
K: Also die akademische Karriere als Mittel gegen die Midlife-Crisis? Hat es geholfen?
R: In gewisser Weise, ja. Manche Dinge lassen sich natürlich trotzdem nicht vermeiden.
K: Lassen sich persönliche Präferenzen bezüglich Beruf und Familie an der Uni leichter verknüpfen als zum Beispiel in der Wirtschaft? Können sich Frauen hier gut behaupten?
R: Ich glaube, dass man sich in der Wissenschaft gut mit seiner Fähigkeit zu denken behaupten kann. Auch deswegen, weil das anonyme Begutachten zentraler Bestandteil der Arbeit ist. In der entscheidenden Phase meiner Karriere, also den Jahren als Post-Doc und Associate Professor, wurde praktisch alles, was ich geschrieben habe, anonym begutachtet und dann angenommen oder abgelehnt. Und da spielt Geschlecht keine oder eine nur sehr untergeordnete Rolle. Da setzen sich Ideen durch oder eben nicht. Die Universität bietet sehr lange keine Sicherheit, man ist immer auf der Suche nach der nächsten Stelle. Da kann man es sich nicht leisten, ein Jahr oder zwei zu sagen, dass man nicht publiziert oder Kinderpause macht. Das Zeitfenster, um eine Professur zu bekommen, liegt in Deutschland irgendwo zwischen 40 und 50. Wenn man das verpasst, ist man nicht mehr verbeamtbar, egal ob man eine lange Familienphase hatte und ein hervorragender Wissenschaftler ist. Das sind solche ganz simplen Sachen, die etwas mit der Lebensplanung zu tun haben. Das heißt, man muss unheimlich viel arbeiten und es ist völlig egal, ob Kinder da sind oder nicht. Wenn der Partner dann auch noch in der gleichen Situation ist, arbeiten zwei Leute unheimlich viel, und die Familienphase ist extrem stressig. Das erlebe ich auch bei der nachwachsenden Generation so, die versucht, die häusliche Arbeit gerecht zu verteilen. Bei uns und auch bei ganz vielen Kollegen war es dann so, dass entweder die Frau oder der Mann Karriere gemacht hat. Ich sehe, dass jetzt junge Leute versuchen, so eine Art Gerechtigkeit zu leben, und das führt zu ganz interessanten Sachen. Ich kenne ein Paar, bei denen immer genau um zwei Uhr mittags die Übergabe des Kindes stattfand, damit jeder einen halben Tag Zeit hat zu arbeiten. Völlig egal, was an dem Tag anstand, ob da eine Besprechung war oder ein anderer wichtiger Termin. Ich hätte nicht so leben wollen, aber vielleicht ist das ein Modell, das für sie funktioniert. Klar ist, es gibt noch kein gutes Modell, wie man häusliche Arbeit gerecht aufteilt, wenn beide Partner Karriere machen wollen. Positiv an der Universität sind die flexiblen Arbeitszeiten. Forschungszeit wechselt sich mit Lehrzeit ab, man kann abends arbeiten und sich dafür tagsüber um die Kinder kümmern. Auch kranke Kinder zu betreuen, ist eigentlich kein Problem.
K: Wie beurteilen Sie die Förderung von Frauen hier an der Uni Leipzig?
R: Ich glaube, dass die Universität sich Mühe gibt. Ob sich das groß von anderen Universitäten unterscheidet, kann ich nicht beurteilen. Dass man jetzt endlich einen Uni-Kindergarten voranbringt, finde ich eine sehr gute Sache, da ich an verschiedenen Universitäten erleben musste, dass man als Angestellter kein Recht auf einen Uni-Kindergartenplatz hat. So war das in Halle. Da war ich Assistentin und es gab einen Uni-Kindergarten, der aber vom Studentenwerk geführt wurde und deshalb für Studenten war. Die Angestellten hatten dort keine besonderen Rechte und das schien mir widersinnig. Die Mittelbauförderung ist sehr wichtig und da wird meiner Ansicht nach bisher nicht genug gemacht. Ich denke aber nicht, dass Leipzig besonders heraussteht, weder positiv noch negativ. Ich finde es allerdings sehr angenehm, dass in dieser doch eher männerdominierten Universität in den letzten Jahren viele Frauen berufen wurden. Das ist für mich ein gutes Zeichen. Eine Mischung der Geschlechter am Arbeitsplatz beeinflusst m. E. das Arbeitsklima positiv. Manches bleibt aber auch umstritten, so z. B. das Thema Abendveranstaltungen. Das ist ein Dauerbrenner. Die Vorstellungen darüber, was eine familienfreundliche Universität ist, müssen schließlich zwischen den Angestellten, den Studenten und den Nachwuchswissenschaftlern ausgehandelt werden und jeder ist in einer anderen Familienphase. Wenn sich Professoren auf einen Termin einigen müssen und sieben Professorinnen in einem Kolloquium anwesend sein sollen, dann geht das nur abends, weil tagsüber verschiedenste Termine anstehen. Abendtermine sind aber für die Väter und Mütter von kleinen Kindern sehr schwierig. Nicht alles lässt sich über die Institution regeln. Es gibt einfach Reibungsflächen und ganz viel Verhandlungsbedarf. Und es gibt dafür leider kein Patentrezept.
K: Was halten Sie aufgrund Ihrer persönlichen und beruflichen Erfahrung vom staatlich geförderten Aufstieg von Frauen?
R: Ich bin gar nicht so optimistisch, dass man mit gesetzlichen Regelungen gesellschaftliche Probleme lösen kann. Ich weiß auch nicht, ob so etwas wirklich effektiv ist. Für mich wäre das eine empirische Frage. Persönlich habe ich erlebt, dass es Frauen am meisten hilft, wenn man sie in Förderprogramme aufnimmt. Ich bin selbst Mentorin in verschiedenen Mentoren-Programmen, in denen ich vor allem mit Frauen zu tun habe. Ich habe erlebt, dass man viele Hürden umgehen kann, wenn man sich seiner – teils geschlechtsspezifischen –Talente, Sensibilitäten und Hürden bewusst ist. Ich habe es immer aus der Perspektive einzelner Frauen betrachtet: Was würden diese spezielle Frauen brauchen, um es zu schaffen, sich mit der Qualität ihrer Arbeit durchzusetzen und im richtigen Alter an der richtigen Stelle zu sein? Das war für mich immer das Vordringliche. Erfahrene Wegbegleiter sind ein unschätzbarer Wert. Zum Beispiel habe ich erlebt, dass Frauen nicht in der gleichen Weise wie Männer dreist einfach mal etwas versuchen mit der Möglichkeit, dass es ein „Nein“ oder eine Absage gibt. Frauen gehen lieber auf Nummer sicher und Männer probieren es manchmal zu oft. Egal, ob es um eine Stellenbewerbung geht, die Nachfrage wegen eines Jobs als Studentische Hilfskraft oder die Bitte um höhere Bezahlung. Wenn man Frauen ermutigt, etwas zu wagen, oder einfach hilft wahrzunehmen, wie Männer Probleme womöglich anders lösen, dann hilft ihnen das, auf dem Arbeitsmarkt zu konkurrieren. Ich habe den Arbeitsmarkt in der Ethnologie aber nicht als diskriminierend erlebt. Wenn eine Frau gut qualifiziert ist, bekommt sie auch eine faire Chance. Deswegen wären Quoten für diesen Bereich nicht nötig und würden auch nichts bringen. Es könnte durchaus sein, dass es andere Berufszweige gibt, in denen eine Quote gebraucht wird.
K: Was würden Sie Frauen raten, die im Hochschul- oder Wissenschaftsbereich Karriere machen wollen?
R: Ich glaube, die schwierigen Jahre liegen zwischen Promotion und Berufung zur Professur. Die Zeit ist voller Unsicherheiten. In der Zeit muss man strategisch sein und über den Tag hinausdenken. Ich habe zum Beispiel eine junge Mitarbeiterin, die ihr Forschungsfeld verlegt hat, damit sie Forschung und Familie verbinden kann. Das halte ich für sinnvoll. Das Leben ist voller Möglichkeiten und Herausforderungen und man muss da flexibel bleiben. In der Zeit der Familienphase muss man sich selber noch genauer beobachten und überlegen, wie viel man sich selber abverlangen mag, was man dem Kind zumutet und dem Partner. Wo liegt die Leidenschaft und welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Man darf den Zug nicht verpassen, aber sich auch nicht nur gehetzt fühlen, denn dann verpasst man sein eigenes Leben. Ich glaube nicht, dass es dafür eine einfache Lösung gibt. Es ist ganz schwierig, aber es lohnt sich für diesen Beruf, denn es ist der schönste Beruf, den es auf der Welt gibt. (lacht)
K: Vielen Dank!