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»Jeder sollte sich seine eigenen Vorbilder suchen und daraus Kraft schöpfen.«

Interview mit Frau Dr.in Madlen Mammen, Leiterin der Stabsstelle Universitätskommunikation der Universität Leipzig

Frau Kremer: Wie haben Sie Bildungsgerechtigkeit oder -ungerechtigkeit persönlich erlebt?

Frau Mammen: Bis ich die Fragen des Interviews zugeschickt bekommen habe, habe ich nie über Bildungsgerechtigkeit in meinem persönlichen Kontext nachgedacht. Das ist auch schon eine Aussage. Ich habe mich immer sehr bildungsgerecht behandelt gefühlt. Ich komme aus einem kleinen Ort, in dem es nur ein Gymnasium gibt. Es war klar, wenn man auf dieses Gymnasium will, muss man sehr leistungsorientiert sein. Das war ich immer und es war mir auch schon immer wichtig, gute Leistungen zu bringen. Das wollte ich für mich, das kam nicht aus dem Elternhaus,eher im Gegenteil. Meine Mutter hat mir in der sechsten oder siebten Klasse Lehrberufe vorgestellt, was denn gut für mich wäre. Sie hätte sich gut vorstellen können, dass ich Physiotherapeutin werde, weil man solche Berufe immer braucht. Aber ich habe gesagt, dass ich gerne studieren möchte, und da meinten meine Eltern: „Wenn du das möchtest, gerne.“ Sie haben mir alles ermöglicht und haben mir auch immer das Gefühl gegeben, dass man alles erreichen kann. Ich war davon überzeugt, dass man alles schaffen kann, wenn man sich reinkniet. Das ist noch immer mein Credo: Du musst deine eigene Energie und Kraft sammeln, dann kannst du auch Dinge erreichen. Als ich mich dann aufs Studium beworben habe, habe ich aber gemerkt, dass es nicht immer so geht. Ich hatte ein sehr gutes Abitur, ich war die sechstbeste an unserer Schule. Aber es gab niemanden, der eine 1,0 hatte, es ging erst ab 1,3 los. Wir waren auch ein geburtenstarker Jahrgang. Ich habe mich überall in ganz Deutschland beworben, weil ich unbedingt Kommunikations und Medienwissenschaften studieren wollte. Nach einem Praktikum bei einer Zeitung habe ich gedacht, dass das das richtige für mich ist. An den meisten Hochschulen gab es einen NC von 1,0, also habe ich erst ganz viele Ablehnungen bekommen bis die Zusage aus Leipzig kam. Dann habe ich endlich meinen Wunschstudiengang begonnen und was musste ich feststellen? Massen. Man war wirklich nur eine unter vielen. Ich habe dann auch angefangen, Germanistik zu studieren, und man wurde mit dem Satz begrüßt: „Schauen Sie nach links, schauen Sie nach rechts, diese beiden werden Sie am Ende des Semesters hier nicht mehr sehen.“ Das war tatsächlich so. Ich saß am Ende des Semesters nicht mehr da. Ich habe den Studiengang schon im ersten Jahr gewechselt, weil ich dachte, dass Germanistik nichts für mich ist. Ich liebe Literatur, aber ich hatte das Gefühl, dass die Liebe zur Literatur gar nicht so geschätzt wurde. Alles wirkte sehr stark formalisiert. Deshalb habe ich beschlossen, dass das nichts für mich ist und habe dann zu Kulturwissenschaften gewechselt. Das mochte ich sehr, gerade dieser Ansatz, dass man auf der einen Seite Geschichte studiert und auf der anderen Seite Kulturmarketing, also auch einen sehr praxisorientierten Zugang hat. In der Kombination mit Kommunikations- und Medienwissenschaft fand ich das für mich ideal. Ich habe mich sehr schnell auf PR und Kulturmarketing spezialisiert und habe meine Praktika dann so ausgerichtet. Neben dem Studium arbeitete ich in verschiedenen Bereichen als studentische Hilfskraft und fand es sehr interessant, die Uni als Gesamtes kennenzulernen. Ich habe mich auch immer mehr in Leipzig verliebt. Heute denke ich, dass das die schönste, beste Universität der Welt ist. Davon bin ich wirklich überzeugt. Deshalb habe ich mich dann auch entschieden, am Lehrstuhl zu bleiben und zu promovieren. Über ein Projektseminar für eine größere Kampagne ich mit einer großen Kommunikationsagentur in Berührung gekommen und bin dann nach Berlin gegangen. Dort habe ich eine Kampagne für ostdeutsche Hochschulen betreut und so auch fast alle der 44 Hochschulen kennengelernt. Aus diesem weiten Blickwinkel habe ich mitbekommen, dass die Uni Leipzig wirklich eine bemerkenswerte Universität ist und großes Ansehen genießt. Im Anschluss daran habe ich die Chance bekommen, wieder an die Universität zurückzukommen. Durch meine jetzige Position kann ich die Universitätskommunikation entsprechend der gewonnenen Erfahrungen gestalten. Rückblickend kann ich auch sagen, dass ich Bildungsgerechtigkeit erlebt habe. Ich habe die Chance bekommen, die Stabsstelle Universitätskommunikation zu leiten; wir sind inhaltlich direkt an das Rektorat, also an die Rektorin angebunden. Das ist wunderbar. Es gibt kurze Abstimmungswege, Gestaltungsfreiräume und viel Vertrauen. Ich glaube, dass Bildungsgerechtigkeit ganz viel mit Förderung zu tun hat, also damit, dass man Mentorinnen und Mentoren hat, die unterstützen, die vertrauen und die Bildungsgerechtigkeit so überhaupt erst ermöglichen.

K: Hätte das Thema Bildungsgerechtigkeit auch auf eine mögliche Karriere außerhalb der Universität Einfluss gehabt? M: Als ich bei der Agentur war, wurde das Thema Bildungsgerechtigkeit ganz anders thematisiert. Ich war eine der wenigen Ostdeutschen und dort waren viele Kollegen, die einen hohen akademischen Hintergrund hatten und das auch so kommuniziert haben. Auch zwischen ihnen wurde über Bildungsgerechtigkeit diskutiert. Da habe ich zum ersten Mal erlebt, was es bedeutet, promoviert zu sein. Man wurde anders wahrgenommen und musste sich mit einer bestimmten Zuschreibung auseinandersetzen.

K: Warum haben Sie sich dann für eine Unilaufbahn entschieden?

M: Die Universität und der öffentliche Dienst bieten viele Vorteile. Insbesondere als Frau mit dem Wunsch, eine Familie zu gründen. Das habe ich in der freien Wirtschaft anders erlebt. Die offizielle Arbeitszeit ging bis 18 Uhr, aber wenn man um 18 Uhr zum Beispiel den Rechner heruntergefahren hätte, dann hätte das für ein schlechtes Klima gesorgt. Man ist von sich aus mindestens bis 19 Uhr geblieben. Das war alles normal. Langfristig hätten diese Erwartungen nicht mit meinem Lebensmodell übereingestimmt. Man darf die Work-Life-Balance nicht vernachlässigen. Hinzukam, dass mir Leipzig sehr fehlte. Wenn man länger Teil des Systems ist, vergessen viele Leute, welche Vorteile der öffentliche Dienst bietet. Neben den geregelten Arbeitszeiten hat man ein zugesichertes Gehalt. In der freien Wirtschaft weiß man nicht, ob der Kollege für die gleiche Arbeit das Dreifache oder Vierfache verdient, nur weil er besser verhandelt hat. An der Uni erlebe ich für mich persönlich diese Gerechtigkeit. Ich habe ein gutes Urlaubsvolumen, das ich woanders nicht in dem Maße hätte und andere Anreize, etwa die Gleitzeit. Und es ist auch familienorientiert. Es gibt ein Verständnis dafür, wie man als Mutter Kind und Karriere unter einen Hut bringen kann. Die Universität ist dafür ein guter Arbeitgeber.

K: Wie beurteilen Sie die Förderung von Frauen an der Uni Leipzig?

M: Ich habe es noch nicht bewusst erlebt, dass Männer und Frauen anders gefördert werden, weder als ich am Lehrstuhl gearbeitet habe noch jetzt. In unserem Team haben wir auch junge Väter, deshalb glaube ich, es muss ein Umdenken in der Familienorientierung sprich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geben, das nicht unbedingt geschlechterspezifisch ist. Das ist mir ganz wichtig, denn ein alleinerziehender Vater hat die gleichen Probleme wie eine alleinerziehende Mutter. Und wenn die Mutter aus der Elternzeit kommt, fände ich es gut, wenn Systeme greifen würden, die diesen Übergang ermöglichen. Zum Beispiel dadurch, dass es Kitaplätze gibt und dass Arbeitszeitmodelle wie das Heidelberger Modell möglich sind. Das ist ein großes Anliegen von mir. Arbeitszeitverlagerung nach Hause wäre eine große Erleichterung für Eltern. Da geht mir die Entwicklung ein bisschen zu langsam, ich finde, da könnte man mehr machen. Ich appelliere auch an alle Multiplikatoren, die das vorantreiben können.

K: Was halten Sie aufgrund Ihrer persönlichen und beruflichen Erfahrung vom staatlich geförderten Aufstieg von Frauen?

M: Wenn staatlich geförderter Aufstieg so aussehen würde, dass diese Rahmenbedingungen geschaffen werden, also, dass es selbstverständlich ist, dass man Betreuung bekommt und seine Arbeitszeit anders organisieren kann, dann fände ich staatliche Förderung super. Andererseits denke ich, dass das fast eine Selbstverständlichkeit sein müsste. Das sieht man gerade in den skandinavischen Ländern, die sind viel fortschrittlicher als wir und über solche Themen wird gar nicht gesprochen, es ist selbstverständlich.

Ich persönlich hatte das große Glück, über die Universität einen Kitaplatz zu bekommen. Meine Elternzeit war stark dadurch belastet, dass ich nicht wusste, wie es weitergeht. Wir haben erst eine endgültige Zusage erhalten, als der Kleine acht oder neun Monate alt war. Ich war die ganze Zeit stark verunsichert, weil ich nicht wusste, ob ich dann wieder anfangen kann zu arbeiten oder nicht. Man wird danach gefragt und möchte verbindliche Aussagen treffen, das kann man aber nicht. Das würde ich mir anders wünschen. Ein geregelter Übergang respektive die dafür benötigte Infrastruktur sollten selbstverständlich sein. Und es geht weiter, wenn das Kind krank ist. Es gibt diese zehn Kind-Krankheitstage und jeder, der ein Kleinkind hat, weiß, dass zehn Tage eigentlich nichts sind. Im letzten Jahr, als ich wieder aus der Elternzeit zurückgekehrt bin, waren meine zehn Kind-Krankheitstage im April aufgebraucht. Wir haben das große Glück, dass wir ein funktionierendes familiäres Umfeld haben wie meine Eltern und meine Schwiegereltern, die uns dann helfen. Aber man ist dann natürlich auf die Familie angewiesen. Da würde ich mir etwas Flexibleres wünschen. Also, dass man zum Beispiel gestaffelte Kind Krankheitstage hätte, sodass es für jedes Elternteil von Kindern unter 5 Jahren zwanzig Tage gibt und die Zahl wird dann weniger, je älter das Kind wird. Ich hoffe einfach, dass es da ein Umdenken geben wird.

Madlen Mammen auf der Aussichtsplattform des MDR-Hochhauses

K: Was würden Sie Frauen raten, die im Hochschul- oder Wissenschaftsbereich Karriere machen wollen?

M: Ich spreche sehr oft mit anderen jungen Frauen, die gerne im Wissenschaftsbereich Karriere machen wollen und mache auch sehr viel Werbung dafür. Ich war nebenbei immer Dozentin und habe danach geschaut, wer die Voraussetzungen mitbringt, eine Unikarriere anzustreben. Wenn man sich eine Hochschulkarriere vorstellen kann und denkt, drei Jahre lang bezüglich einer Promotion intensiv an einem Thema arbeiten zu können und dass diese Arbeit Spaß machen würde, dann sollte man es auf jeden Fall machen. Auch wenn man es nicht schaffen sollte, ist das rückblickend betrachtet eine Bereicherung. Man sollte auch an das Scheitern glauben, sich das Scheitern selbst zugestehen. Das war bei mir gerade am Anfang, also im ersten Jahr, ein großes Problem, weil ich mich so unter Druck gesetzt habe. Und dann hat jemand sehr Kluges zu mir gesagt: Erst, wenn ich mir selbst zugestehe, dass ich es nicht schaffen könnte, werde ich es schaffen. Das ist so ein Satz, an dem ich heute noch festhalte. Nur, wenn man sich selbst das Scheitern zugesteht, wird man Erfolg haben. Frauen neigen stark dazu, sich selbst unglaublich unter Druck zu setzen, weil sie sich beweisen müssen. Frauen sind im Arbeitsumfeld so erfolgreich, wie sie sind, weil sie andere Aspekte beachten, aber Männer gehen viel konsequenter nach vorn. Diese Konsequenz wünsche ich mir manchmal auch noch stärker. Frauen brauchen Vorbilder. Jeder sollte sich seine eigenen Vorbilder suchen und daraus Kraft schöpfen. Man darf sich den Wissenschaftsberuf nicht schönreden: Es ist anstrengend, aber es bereitet auch viel Freude. Ich habe aber auch prägende Vorbilder im familiären Kreis gehabt. Meine Oma hat vier Kinder und hat immer voll gearbeitet; meine Mutter auch. Wenn man so sozialisiert ist, dann geht man auch anders an die Dinge ran: „Ich werde es schaffen, denn ich kann es.“ Ich glaube, das ist ein gutes Schlusswort.

K: Vielen Dank!